Es gibt Reisekataloge, die einem das Blaue vom Himmel versprechen. Es gibt Photoshop. Es gibt dann, viel zu oft, die Ernüchterung der Realität – und es gibt Holbox. Wenn ich irgendwann sterbe und in den Himmel komme, dann wünschte ich, es würde dort aussehen wie auf dieser Insel. Aber alles der Reihe nach.
Während der Überfahrt war es dunkel geworden. Ich war verschwitzt bis auf die Unterhose, und mein Allgemeinzustand bewegte sich im Rhythmus der kleinen Fähre, die sanft auf den Wellen des mexikanischen Golfes auf und ab schaukelte, irgendwo zwischen Delirium und kurz vor komatös.
Ich beobachtete die aufgeregt schnatternden Reisenden, die es sich auf den Hartplastikbänken am Oberdeck so gemütlich gemacht hatten, wie es eben ging. Zu meinem insgeheimen, ganz persönlichen Vergnügen schien das Boot eine Art Arche Noah für alle existierenden menschlichen Urlauberklischees zu sein. Es tummelten sich da der deutsche Socken-in-Sandalen-Träger und seine im identischen Partnerlook aus Trekkinghose und weißem Polo gekleidete Frau mit aschblondem Kurzhaarschnitt. Vor mir züngelte eine junge Blondine so leidenschaftlich ihren – zugegeben nicht unattraktiven – mexikanischen Reiseflirt, dass ich versucht war, den beiden entweder das untere Deck nahezulegen oder frisch mitzumachen, und in den hinteren Reihen stritt ein junges holländisches Paar in Ethnoklamotten und mit Rastalocken hitzig über etwas, das ich anhand der begleitenden Gesten und der paar Wortfetzen, die ich aufschnappen konnte, thematisch eingrenzte auf eine Debatte darüber, wer Schuld an dem wenigen verbleibenden Bargeld hatte, oder aber wahlweise über die korrekte Ausführung eines Akro-Yoga-Asanas.
Während ich das Treiben ringsherum amüsiert registrierte – ich fragte mich, welche Zuschreibungen die Anwesenden mir umgekehrt bei meinem Anblick wohl gemacht haben wollten –, verlor ich mich allmählich im Sinnieren darüber, ob ich nach meiner letzten Reise über den Atlantik annähernd ähnlich außer Kräften gewesen war. Warum fühlte ich mich so schlapp? Seit ich denken konnte – welch heimelig anmutende Ironie –, war ich mit einem überausgeprägten Potential selbstschützender Ratio ausgestattet gewesen, und die bescheinigte mir auch jetzt, ähnlich meiner Familie, meinen Freundinnen, den Menschen, die ich in diesen vergangenen zwei Krisenjahren begegnet war: Aber du bist doch noch so jung. Ja, das mochte ja sein, in Zahlen. Warum um alles in der Welt aber fühlte ich mich dann, als hätte ich die jugendliche Ausstrahlung und Energie von der Großmutter eines Schwamms?
Ein Glück, hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts vom Betrug der gemeinen Kleinkriminellen geahnt, die mir die teuerste Taxifahrt meines Lebens beschert haben würden. Erst mit meiner Ankunft im Hostel würde mir das letzte Quäntchen Lebensenergie, das sich aktuell noch als leichte Restfarbe auf meinen Wangen abzeichnete, ein für allemal aus dem Gesicht weichen. Aber, wie gesagt: alles der Reihe nach.
Neugierig auf die nächste Etappe meiner Reise? Im Golfcart des Todes
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